Nevin Aladağ
Die Arbeiten von Nevin Aladağ (1972) kreisen um die Frage, wie Identität entsteht – nicht als festgelegtes Merkmal, sondern im Austausch zwischen Körper, Raum, Kultur und Klang. Mit präzisen Gesten überführt sie Alltagsobjekte, Möbel, Musikinstrumente oder urbane Materialien in poetische Konstellationen, in denen sich soziale Codes, Erinnerungen und Bewegungen sedimentiert haben. Ihre Skulpturen, Installationen und Videoarbeiten aktivieren diese Dinge wie Akteure: Sie erzeugen Rhythmus, Reibung, Resonanz.
Aladağ setzt dabei weniger auf Erzählung als auf Performativität. Ihre Werke sprechen nicht über kulturelle Prägung, sondern lassen sie hörbar und sichtbar werden – durch Vibrationen, Reibung, Gesten, durch kollektive Muster und architektonische Choreografien. Oft entstehen daraus unerwartete Klangräume, in denen Tradition und Gegenwart, Migration und Zugehörigkeit, Privatheit und Öffentlichkeit miteinander in Bewegung geraten.
In Aladağs Werk wird kulturelle Identität nicht als Herkunft archiviert, sondern als Prozess erlebbar gemacht – als ein Zusammenspiel aus Material, Körper und gesellschaftlicher Praxis. Ihre Kunst sucht nicht nach festen Wurzeln, sondern nach den Dynamiken, die uns miteinander verbinden.
Jali Ring, 2018,
Jail Ring besteht aus sieben farbig gefassten, sechseckigen Elementen, deren ornamentale Gitterformen an architektonische Fenster, Schutzgitter oder Belüftungsöffnungen erinnern. Aladağ überführt diese funktionalen Strukturen in eine skulpturale Komposition, die zugleich offen und verschlossen wirkt: Durch die Durchbrüche dringt Luft und Blick, doch die strengen Raster bleiben Barriere. Zwischen Transparenz und Kontrolle entsteht ein Körper, der sich nicht eindeutig verorten lässt – weder rein dekorativ noch eindeutig utilitär.
Die Grundform des Rings suggeriert Verbindung und zyklische Bewegung, während jedes einzelne Element ein urbares, sozial codiertes Muster trägt: Fragmente urbaner Gestaltung, wie sie in mediterranen, nahöstlichen oder mitteleuropäischen Städten auftauchen. Aladağ entzieht diese Muster ihrer lokalen Funktion und öffnet sie für eine Lesung als kulturelle Ebenen, die nicht exklusiv sind, sondern sich überlagern, verhaken und gemeinsam eine neue Form bilden.
Jail Ring zeigt Identität nicht als Abgrenzung, sondern als Struktur, die wir durchlässig machen: durch Blick, Austausch, Bewegung. Das Gitter bleibt Schwelle, aber es ist keine Wand. In dieser Ambivalenz entfaltet sich Aladağs Interesse an Architektur als soziale Sprache – als System aus Mustern, das Gemeinschaft ordnen, schützen, aber auch einschränken kann. Sichtbarkeit entsteht erst dort, wo Grenzen nicht verschwinden, sondern verhandelt werden.
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glazed ceramic, powder coated steel
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76 x 71 x 15 cm
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Unikat
Pattern Kinship II, 2017,
In Pattern Kinship II bringt Nevin Aladağ eine Vielzahl urbaner Ornamente in ein strenges, zugleich rhythmisch verspieltes Bildgefüge. Die Gitterformen – entlehnt aus Fenstern, Geländern oder architektonischen Öffnungen – verlieren ihre Funktionalität und werden zu grafischen Modulen, die wie Farbfelder oder Linien einer abstrakten Sprache erscheinen. Die Komposition erinnert in ihrer klaren Segmentierung an die Kunst der Moderne, insbesondere an Piet Mondrian, doch statt universelle Grundformen zu postulieren, aktiviert Aladağ Muster, die von sozialen Räumen und lokalen Materialkulturen geprägt sind.
So entsteht ein Diagramm, das nicht nach Reduktion strebt, sondern nach Verwandtschaft. Die einzelnen Ornamente behaupten ihre Herkunft nicht als feste Identität, sondern treten zueinander in Beziehung: Sie überlagern sich, bilden Übergänge, teilen Linienführungen und rhythmisieren den Blick. „Kinship“ – Verwandtschaft – meint hier keine Blutsbindung, sondern eine strukturelle Nähe, die sich erst im Zusammenspiel zeigt.
Pattern Kinship II versteht urbane Muster als Speicher von Geschichte, Migration und Alltagsästhetik – nicht als dekorative Oberfläche, sondern als Zeichen sozialer Bewegung. Aladağ greift nicht auf universelle Formen zurück, sondern macht sichtbar, dass das, was wir als „ornamental“ wahrnehmen, bereits ein gelebter Austausch ist: ein Netzwerk aus Blicken, Materialien und Gestaltungslogiken, das Städte ebenso prägt wie unsere Vorstellungen von Gemeinschaft.
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waterjet cut aluminum, acrylic paint
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130 x 130 x 1 cm / 51 1/4 x 51 1/4 x 1/2 in
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Unikat
NA/M 70 SF2 & NA/M 71 SF1, 2019
Die Serie Social Carpets entsteht aus fragmentierten Teppichen, die Nevin Aladağ zerschneidet, neu kombiniert und zu komplexen Bildflechten zusammensetzt. Die verwendeten Stoffe stammen aus unterschiedlichen Herkunftsräumen – von handgeknüpften Traditionsteppichen bis zu industriell gefertigten Produkten. Indem sie die Muster voneinander trennt und weiterverarbeitet, löst Aladağ den Teppich aus seiner Funktion als Gebrauchs- und Statusobjekt und öffnet ihn für eine Lesung als soziales Material.
Die Schnittkanten, Überlagerungen und Brüche erzeugen ein Gefüge, das weniger eine Collage als eine kartografische Struktur erinnert: Jeder Ausschnitt trägt Spuren seiner Herkunft, doch die neue Ordnung lässt diese Zuschreibungen brüchig und durchlässig werden. Die Teppichfragmente stehen nicht für geschlossene Identitäten, sondern für Bewegungen – für Handel, Migration, Aneignung und alltägliche Nutzung.
So verwandelt Aladağ ein dekoratives Objekt in einen sozialen Raum. Social Carpets zeigt Kultur nicht als Erbe, das geschützt werden muss, sondern als etwas, das sich durch Austausch verändert: durch Hände, die knüpfen, durch Wege, die Stoffe zurücklegen, durch Märkte, Nachbarschaften, Zeit. Das Werk macht sichtbar, dass Muster keine Traditionen konservieren, sondern Begegnungen speichern.
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carpet pieces on wood
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172 x 112 x 5 cm / 67 3/4 x 44 x 2 in
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Unikat